Montag, 8. April 2024

Der Lärm des Lebens - Jörg Hartmann

„Faber“ – das ist der Name, den ich hauptsächlich mit dem Schauspieler Jörg Hartmann verbinde, schließlich spielt er den kauzigen Tatort-Kommissar aus Dortmund seit über zehn Jahren. Jetzt hat er mit „Der Lärm des Lebens“ ein Buch über sein Leben, seinen Beruf und seine Familie vorgelegt. Oder zumindest war das wohl der Plan, denn so ganz funktioniert das Buch für mich nicht. Es ist keine richtige Autobiografie, es ist aber auch kein Roman, es ist irgendwo zwischendrin. Im Endeffekt war die Lektüre für mich ein netter Zeitvertreib, mehr aber auch nicht.

„In «Der Lärm des Lebens» erzählt Jörg Hartmann auf hinreißende Weise seine Geschichte und die seiner Eltern und Großeltern“ steht im Vorwort und danach habe ich überall im Buch gesucht. Ich konnte aber weder das eine noch das andere finden, er schreibt weder hinreißend, noch schreibt er übermäßig viel über seine Eltern und Großeltern. Schade, denn darauf habe ich mich gefreut, denn so etwas bringt dem Publikum den Schauspieler/Autor näher. Doch bei der Lektüre kam es mir so vor, als habe im Leben von Jörg Hartmann nur Jörg Hartmann Platz und vielleicht noch die engsten Familienmitglieder. Er schreibt ausufernd darüber, wie er sein erstes Engagement bekam, über Nebenrollen und das Anbiedern bei verschiedenen Bühnen. Dann springt er zum letzten Besuch in einem Pflegeheim in Herdecke bei seinem dementen Vater, zur Beerdigung und wieder zurück zu seinen Anfängen in der Schauspielerei. 

Insgesamt fehlt dem Buch der rote Faden für mich gänzlich. Fixpunkte in der Geschichte sind der Mauerfall, 9/11 und der Ausbruch von Covid 19. Um diese gruppiert der Verfasser seine Geschichten, springt in der Zeit hin und her und wirft mit Namen um sich, oft schreibt er im Dialekt, voller „hömma“ und „wonnich“. Das gibt dem Buch Charme und Charakter, aber leider keinen Inhalt. Die Demenz des Vaters, dessen Tod und die Mukoviszidose der ältesten Tochter werden förmlich von Nebensächlichkeiten überdeckt. Wann spielte er an welcher Bühne, wann hatte er wo Dreharbeiten? Was ist mit dem großen Puppenhaus, das er gekauft und bei der Mutter im Keller zwischengelagert hat? Wieso hat er sich simplen grünen Tee in Schanghai für sehr viel Geld andrehen lassen? Das sind eher seine Themen als die gehörlosen Großeltern oder die Pommesbude der Mutter. Substanz und Relevanz habe ich größtenteils vergeblich gesucht.

Sprachlich ist das Buch gut zu lesen, die Sätze sind simpel und die Sprache kumpelhaft und bodenständig. Angenehm fand ich auch, dass er mit Lockdown nach Ausbruch der Corona-Pandemie (anders als viele seiner Kollegen) eine gewisse Entschleunigung und Selbstbesinnung auf sich und die Kinder erlebte. Die eher kurz angerissene Geschichte seiner gehörlosen Großeltern hätte ich gerne ausführlicher gelesen. Die Episode um Wilfried, den „Riesenfan von Dortmund“, der der Meinung war, „der Faber sei überhaupt der Beste“ ging mir wirklich ans Herz. Aber es gibt in dem Buch auch weniger angenehme Stellen, wie beispielsweise die ausufernde Beschreibung eines Kindergeburtstags gegen Ende. Dieses Kapitel habe ich tatsächlich nur zu Ende gelesen, weil ich wissen wollte, woher seine lang und breit geschilderten körperlichen Symptome kamen. 

Jörg Hartmann wollte seine eigene Geschichte irgendwie in die Weltgeschichte einordnen. Das ist ihm zum Teil gelungen, zum Teil aber überhaupt nicht. Das Buch mäandert zwischen humorvoll und langweilig, interessant und dröge hin und her und schafft es wegen der vielen in epischer Breite geschilderten Belanglosigkeiten nicht, mich zu begeistern. Jörg Hartmann und ich haben wohl eine sehr unterschiedliche Auffassung darüber, was wichtig ist und was nicht. Es ist eher ein Buch für echte Fans. Von mir daher drei Sterne. 


Die perfekte Familie - Shalini Boland

 „Die perfekte Familie“ – gibt es sie überhaupt? Vermutlich nicht. Da stimmt eher das „unter jedem Dach ein Ach“. Und auch in Shalini Bolands Thriller „Die perfekte Familie“ ist die Fassade der perfekten Familie genau das: ein schöner Schein. Und auch das Buch selbst hält für mich bei weitem nicht das, was ich mir davon versprochen habe. Statt des angepriesenen fesselnden „Thrillers mit schockierenden Twists“ serviert die Autorin eine eher unausgegorene „Hand an der Wiege“ – Geschichte mit vorhersehbaren Wendungen. Schade, denn die Geschichte hätte jede Menge Potential gehabt.

Aber von vorn.

Die erfolgreiche Geschäftsfrau Gemma Ballantine zunehmend damit überfordert, Firma, Haushalt und ihren beiden Töchtern unter einen Hut zu bekommen. Dazu setzt sie auch ihre Schwiegermutter Diane immer mehr unter Druck, sich zwischen Familie und Beruf zu entscheiden. Alternativ könnte sie eine Nanny einstellen, um nicht weiterhin eine Rabenmutter zu sein, wie eine Farbschmiererei auf ihrem Auto sie nennt. Als ihre Tochter Eva für den Übertritt aufs Gymnasium einen Nachhilfelehrer (alternativ eine Nachhilfelehrerin) braucht, ist es eine Fügung des Schicksals, dass die Bewerberin Sadie nicht nur schulische Lücken schließen könnte, sondern sich auch noch um die sechsjährige Katie und um den Haushalt kümmern könnte.

Dass sich der Mary-Poppins-Verschnitt nicht nur um Kinder und Haushalt kümmern würde, war klar, sonst wäre das Buch ja kein Thriller. Naja, ist es ja auch nicht wirklich, denn durch die beiden Erzählstränge zerredet die Autorin für mich jede auch nur ansatzweise aufkommende Spannung schon bevor sie entstehen kann. Die Sicht von Gemma ist die Sicht der absolut Unwissenden. Sie versucht ihren Alltag mit Beruf und Familie zu meistern und dazu auch noch der Schwiegermutter zu gefallen, die, „früher“ selbst natürlich alles viel besser gemacht hat. Der andere Erzählstrang besteht aus Sadies Gedanken und so weiß die Leserschaft immer schon lange vor Gemma, was ihr blüht. Und leider wird die tatsächliche Handlung dann nicht mehr besonders spannend.

Sprachlich konnte mich das Buch auch nicht wirklich begeistern, stellenweise liest es sich unbeholfen und holprig, mehr wie ein Projekt einer Creative-Writing-AG als das Werk einer erfahrenen Autorin. Die Übersetzung ist allerdings wirklich gelungen. Die Charaktere waren ganz gut ausgearbeitet, wobei mir Gemma als Protagonistin völlig unsympathisch war. Sie war mir zu naiv und überfordert, um als erfolgreiche Geschäftsfrau glaubwürdig zu sein. Schwiegermutter Diana und die Nanny Sadie werden meiner Meinung nach wesentlich besser beschrieben, die Töchter und Ehemann Robert bleiben eher blass. 

Alles in allem hat mich das Buch ziemlich enttäuscht. Für mich kam kaum Spannung auf, dafür war es voller Klischees wie die „böse“ Schwiegermutter, die die Schwiegertochter ablehnt und sie das auch ständig spüren lässt. Dazu kommen die unglaublich nervigen und überehrgeizigen Mütter der Mitschülerinnen der Töchter und an Gemmas Seite ist ein alles in allem eher wenig hilfreicher Ehemann. Durch den Aufbau mit den beiden Erzählperspektiven wusste man als Leser:in zu viel, als dass einen etwas an der Handlung hätte überraschen können. Für mich war es daher kein Thriller, über weite Strecken noch nicht einmal ein Krimi, sondern eher eine leidlich unterhaltsame Familientragödie wie man sie schon zig Mal gelesen hat. Zu Ende gelesen habe ich das Buch im Endeffekt nur, weil ich bis kurz vor Schluss auf die versprochenen „schockierenden Twists“ gewartet habe. Vergeblich. Von mir daher zwei Sterne. 


Spinnennetz - Lars Kepler

 Joona Linna und seine Kollegin Saga Bauer gehen mit „Spinnennetz“ in die neunte Runde. Da hat das Duo Lars Kepler (dahinter verbirgt sich das Ehepaar Alexandra Coelho Ahndoril und Alexander Ahndoril) mal wieder ein Buch voller Extreme abgeliefert! Extrem spannend, extrem kompliziert, extrem brutal – und extrem lang. Lang habe ich auch gebraucht, bis ich mich an das Buch gewagt habe, Bücher jenseits der 600 Seiten wirken oft etwas einschüchternd auf mich. Aber nach kurzer Zeit hat es mich vollkommen gefangen genommen und die Seiten flogen nur so dahin. 

Aber von vorn.

Nachdem Saga Bauer ihren letzten Einsatz nur knapp überlebt hat, ist sie vom Polizeidienst suspendiert und verdingt sich als Privatdetektivin. Bevor sie aus der Reha-Klinik entlassen wird, erhält sie eine handgeschriebene Postkarte, auf der steht: „Ich habe eine blutrote Pistole der Marke Makarow. Im Magazin stecken neun weiße Kugeln. Eine davon wartet auf Joona Linna. Die Einzige, die ihn retten kann, bist du.“ Unterschrieben ist die Karte mit „Artur K Jewel“ - einem Anagramm des Serienmörders Jurek Walter. Aber der ist tot, Joona hat ihn eigenhändig getötet. Joona sieht sich selbst auch nicht in Gefahr. Doch dann passiert der erste Mord und der Modus Operandi passt zu Jurek Walter. Nach und nach tauchen Zinnfiguren auf, die den Opfern ähnlichsehen, eingepackt in Hinweise auf die Tatorte. Saga steht Joona und seinem Team bei den Ermittlungen mit Rat und Tat zur Seite. Doch als noch mehr Morde passieren und sie mehr Hintergrundwissen zu haben scheint als alle anderen, gerät sie plötzlich selbst als Hauptverdächtige ins Visier der Ermittler. Dabei will sie doch nur helfen und vor allem Joonas Leben retten, bevor der irre Serienkiller ihn erwischen kann. Oder etwa nicht?

Was für eine wilde Fahrt beschert uns Lars Kepler mit diesem Thriller! Zwar hat sich der Anfang ein bisschen gezogen und die Geschichte brauchte ein bisschen „Vorspielzeit“, als sie aber dann einmal Tempo aufgenommen hatte, war die Spannung nicht mehr auf- und manchmal kaum mehr auszuhalten. Dafür lässt die „Nachspielzeit“ (der Epilog) auf einen nächsten Teil hoffen. Der Spannungsbogen ist hoch, die kurzen Kapitel und der prägnante, fast nüchterne Schreibstil sorgen für eine zusätzliche Spannungssteigerung. „Spinnennetz“ ist für mich ein hervorragend geschriebener, sehr gut übersetzter Thriller der Extraklasse. Wie vom Autoren-Duo nicht anders zu erwarten, gibt es reichlich Leichen, an Brutalität und krimineller Perversion wird ebenfalls nicht gespart. Die Beschreibungen sind bildhaft und damit ist das Buch nichts für schwache Nerven und sensible Mägen. Die Charaktere sind gut ausgearbeitet, Joona Linna hat dieses Mal eher eine Nebenrolle, die klare Protagonistin ist Saga, die so hart darum kämpft, wieder zurück ins normale Leben und in den Polizeidienst zurückzufinden. Aber auch Joona hat an mehreren Fronten zu kämpfen, seine Nemesis Jurek Walter lässt ihn auch nach dem Tod nicht los, denn der Serienmörder und seine Stimme haben sich unlöschbar in seine Erinnerungen eingebrannt. Und auch die Leserschaft entkommt Jurek Walter nicht. Daher empfehle ich allen Interessierten, vorher die anderen Teile der Serie in der richtigen Reihenfolge zu lesen. Die komplexe „Jurek-Walter“-Thematik wird etwas einfacher nachzuvollziehen, wenn man sie von Anfang an kennt. Aber natürlich kann man das Buch auch ohne Vorkenntnisse lesen, wenn man das gerne möchte.

Nach einigen falschen Fährten und sehr viel Fahrerei gibt es auch für diese Geschichte einen stimmigen Schluss, der mich ziemlich überrascht hat. Für mich als bekennenden Fan der Serie ist das Buch ein absolutes Muss, ich empfehle es aber allen, die rasant spannende, blutige und brutale Thriller mit Einblicken in tiefe seelische Abartigkeiten mögen. Ich freue mich auf den nächsten Teil der Serie, bis dahin sind meine Fingernägel auch nachgewachsen, sodass ich sie dann beim Lesen vor lauter Spannung wieder abknabbern kann. Von mir gibt es natürlich fünf Sterne. 


Donnerstag, 21. März 2024

Flüsterwald - Eine neue Bedrohung. Der letzte Funken Magie - Andreas Suchanek

Das Problem, das ich bei der Rezension von Buchserien habe, ist, dass ich irgendwann anfange, mich bei meinen Lobpreisungen zu wiederholen. Da ist Andreas Suchanek um einiges besser als ich (und vermutlich nicht nur da), denn er schafft es, sich auch im achten Teil seiner „Flüsterwald“-Reihe noch jede Menge Neues einfallen zu lassen. „Flüsterwald - Eine neue Bedrohung. Der letzte Funken Magie“ ist der Titel des neuen Teils der Serie und damit bringt er die zweite Staffel zum Abschluss, natürlich nicht ohne mit einem Cliffhanger Lust auf die nächste Staffel zu machen. Das Buch schließt nahtlos an seinen Vorgängerband in der Reihe an, deshalb war ich froh, dass ich nicht allzu lange darauf warten musste.

Aber von vorn. 

Wie es sich schon am Ende des letzten Teils der Serie abgezeichnet hat, sind alle Flüsterwälder der Welt samt ihren Bewohnern versteinert. Nur der Flüsterwald in Deutschland mit seinem Zentrum der Herzburg, ist der bösen Zauberin noch nicht zum Opfer gefallen. Das möchte diese jetzt natürlich mit Unterstützung der Angreiferkatzen ändern. Außerdem saugt eine Schöpfungsapparatur alle Magie auf, und die Magie der Flüsterwäldler funktioniert nicht mehr wie gewohnt. Durch das Absaugen der Magie droht zudem ein riesiger Felsbrocken vom Himmel zu stürzen. Da haben Lukas, Ella, Punchy, Rani und Felicitas zusammen mit ihren Freunden Jacub, Ajala, Zoe und Noah und weiteren Unterstützern aus den anderen internationalen Flüsterwäldern alle Hände voll zu tun und die Zeit läuft den Freunden davon. Können sie es auch dieses Mal schaffen, ihren Flüsterwald zu retten? Und wer steckt eigentlich genau hinter den Angriffen?

Wow, was für eine Geschichte! Da hat uns Andreas Suchanek ja fast einen Krimi serviert! Ich bin ja schon ein etwas fortgeschrittenes Kind, aber mich hat das Buch komplett in seinen Bann gezogen und ich habe mit den Charakteren mitgefiebert. Die sind, wie vom Autor gewohnt, liebevoll beschrieben und ihre Entwicklung vom ersten Band der Reihe bis zu diesem ist konstant und konsistent. Freundschaft und Zusammenhalt spielen natürlich wieder eine große Rolle. Jeder einzelne hat seine eigene spezielle Fähigkeit, jeder ist im Team wichtig, egal, ob er Kämpfer oder Brauer von Zaubertränken ist. Hilfsbereitschaft und Teamwork sind im Kampf gegen die Angreiferkatzen und die böse Zauberin ebenso wichtig wie im wahren Leben, Herkunft und Hautfarbe spielen bei der Zusammenarbeit selbstverständlich keine Rolle. Die neuen Freunde von Lukas, Ella und Co. kommen zum Beispiel aus Indien, Australien, Tschechien und Amerika. Dazu werden natürlich Themen wie Umweltverschmutzung und Tierschutz auch in diesem Buch wieder aufgegriffen. 

Der Schreibstil ist überwiegend altersgerecht, manche der verwendeten Worte fand ich allerdings ein bisschen überambitioniert. Trotzdem fand ich das Buch angenehm und locker zu lesen, für kleinere Fans der Reihe eignet es sich sicher auch als Vorlesebuch, zumal die Kapitel eher kurz sind. Die Geschichte wird aus verschiedenen Perspektiven erzählt, da sich Ella und Lukas getrennt auf Rettungsmission begeben. Ella und ein paar ihrer Freunde versuchen, das Herz des Waldes zu verteidigen und Lukas, macht sich (unter anderem begleitet vom Menok Rani, der immer noch vor sich hin pubertiert) auf zum Giftmüllsee und in die Stadt der Meerjaner.  

Wie die anderen Teile der Serie hat mich auch dieser sehr gut gefallen und ich freue mich schon auf die neue Staffel. Der Autor gibt sich alle Mühe, dass man das Buch auch ohne Vorkenntnisse lesen und verstehen kann, die Geschichte ist auch weitgehend in sich abgeschlossen. Beim inzwischen achten Teil der Reihe empfehle ich aber, die Vorgängerbände ebenfalls zu lesen und das, wenn möglich, in der richtigen Reihenfolge. Für „Den letzten Funken Magie“ gibt es von mir natürlich fünf Sterne. 


Dienstag, 12. März 2024

Erinnere dich! - Max Reiter

„Erinnere dich“ von Max Reiter ist ein Buch, das mich gelinde gesagt ziemlich ratlos zurücklässt. Einerseits ist es ein teilweise rasant spannender Krimi, andererseits fand ich die Geschichte hanebüchen konstruiert und stellenweise langatmig und oberflächlich. Das finde ich angesichts der sehr guten Ideen dahinter sehr schade und der Autor hat das Potential der Thematik für mich bei weitem nicht ausgeschöpft. Die Lektüre hat mich allerdings erschöpft und ich musste mich durch das Buch Seite für Seite durchkämpfen. 

Aber von vorn.

Arno Seitz lebt ein ruhiges Leben in Berlin. Er ist Dozent für Literaturwissenschaften an der Universität, hat eine Fernbeziehung zu Kaitlan, die in den USA lebt und ein schwieriges Verhältnis zu seinem alkoholkranken Vater. Als er zum Treffen zum 20-jährigen Abitur eingeladen wird, bekommt sein beschauliches Leben einen Knacks. Er bekommt ein Handy zugeschickt, über das eine anonyme Person, die sich selbst „Lost and Found“ nennt, Kontakt mit ihm aufnimmt. Plötzlich sind da Erinnerungen an seine erste große Liebe Maja, die vor 20 Jahren bei einer Wanderung spurlos verschwunden ist. Lost and Found scheint überzeugt zu sein, dass Arno der Mörder von Maja ist, schließlich war er der letzte, der sie lebend gesehen hat. Lost and Found fordert ihn bei jedem Kontakt auf: „Erinnere dich!“ Arno findet sich unversehens in einem Strudel der Erinnerungen wieder. Die Frage ist nur: sind diese echt?

Der Schreibstil des Autors ist flüssig, erzählt wird die Geschichte aus Sicht des Protagonisten in der Ich-Form. So viel zum positiven Aspekt des Buchs, das für mich allerhöchstens ein Krimi war, aber ganz sicher kein Thriller. Dafür fand ich die Geschichte zu konstruiert und alles in allem fehlte mir über weite Teile die Spannung. Gegen Ende nahm diese für mich ein bisschen an Fahrt auf, da hatte ich die Lust an dem Buch aber schon verloren und wollte nur noch wissen, wie es ausgeht. Die Charaktere fand ich etwas blass und eindimensional, zudem konnte ich keinen sympathisch finden. Am unsympathischsten fand ich den Protagonisten und seinen Hang zum Alkohol, vor allem deshalb, weil er seinem Vater dessen Alkoholismus zum Vorwurf macht.  

Einzig die düster-beklemmende Atmosphäre des Buchs fand ich gelungen. Die wachsende Verzweiflung und Verunsicherung des Protagonisten, gepaart mit seinen ständigen Selbstzweifeln, weil er selbst nicht mehr weiß, ob er Majas Mörder ist, waren fast physisch greifbar. Dazu kommt immer wieder das manipulativ-fordernde „Erinnere dich!“ von Lost and Found, was nach und nach dazu führt, dass Arnos Leben immer mehr aus den Fugen gerät und der eher gefestigte Uni-Dozent immer mehr abrutscht. Hätte der Autor auf diese Spannung aufgebaut, wäre es ein hervorragender und enorm spannender Thriller geworden. Dazu die psychologische Komponente von False Memory, Schuldgefühlen, Verdrängung und Eifersucht – was für eine potente Mischung! Leider konnte der Autor für mich die Themen zu wenig ausbauen und verrennt sich zu sehr in Belanglosigkeiten wie die zum Teil misogyn angehauchten oberflächlichen Gedankengänge des Protagonisten. Auch die letztendliche Auflösung des Falls war für mich zu sehr an den Haaren herbeigezogen. 

Dieses Buch wird mir nicht in Erinnerung bleiben, für mich war es eine Enttäuschung. Daher gibt es von mir wegen der guten Idee dahinter zwei Sterne. 


Dienstag, 5. März 2024

Sylter Gier - Ben Kryst Tomasson

Kari Blom ist wieder aktiv! „Sylter Gier“ heißt der achte Teil der „Kari Blom ermittelt undercover“-Reihe von Ben Kryst Tomasson und das Buch hat es wirklich in sich. Auf die schwangere Kriminalkommissarin wartet nicht nur ein kniffliger Fall, sondern auch private Probleme. Und auf die Leserschaft wartet ein spannender Krimi mit ansprechenden Charakteren vor toller Kulisse. 

Aber von vorn. 

Beim Sylter Gesundheitszentrum „Baby-Well“, das seinen medizinischen Schwerpunkt auf die Versorgung Schwangerer legt, besteht der Verdacht, dass dieses die Krankenkassen durch falsche Abrechnungen betrügt. Was liegt da näher, als dass die hochschwangere Kommissarin Kari Blom dort undercover ermittelt? Sie ist sowieso durch die Arbeit im Innendienst gefrustet. Ihr Mann Jonas Voss ist aus Sorge um sein ungeborenes Kind nicht begeistert von ihrem Einsatz. Aber der Hauptkommissar hat mit seiner Kollegin Hanna zusammen bald selbst alle Hände voll zu tun, denn Karis erster Hauptverdächtiger wird am Fuß des Roten Kliffs tot aufgefunden und die Ermittlungen der beiden überschneiden sich. Da Kari aber als erfolglose Schriftstellerin auf Sylt unterwegs ist, dürfen sie nicht zeigen, dass sie sich kennen. Das verlangt vor allem Jonas einiges an Schauspielkunst ab. Und natürlich mischt auch bei diesem Fall die „Häkelmafia“ bestehend aus Witta, Grethe, Alma und Marijke, eifrig mit. Gut nur, dass die vier schon bergeweise Babyklamotten gehäkelt haben, denn bei den ganzen Fahrdiensten, die sie für Kari leisten, wären sie nicht mehr dazu gekommen.

Das Buch war für mich erst das zweite aus der Reihe um Kari Blom und ich fand es fast rundum gelungen. Es war spannend, wobei der Spannungsbogen langsam, aber konstant anstieg. Die Protagonisten sind sympathisch, im Falle der Häkelmafia dazu auch noch liebenswert schrullig. Der Fall an sich ist vom Autor gut konstruiert und bietet mehrere interessante Aspekte und einige falsche Fährten, dazu ein bisschen Action und reichlich Lokalkolorit – das alles machte das Buch für mich zum Lesevergnügen. Schön fand ich auch, dass man es völlig ohne Vorkenntnisse lesen kann, alles Wichtige aus den Vorgängerbänden wird erklärt. Trotzdem werde ich mir die anderen Teile wohl jetzt auch noch besorgen, ich muss ja auch die Wartezeit auf den neuen Band überbrücken, „Sylter Rivalen“ soll im April erscheinen. Neben den Ermittlungen kommt auch das Privatleben von Kari und Jonas nicht zu kurz, im Mittelpunkt steht natürlich ihr ungeborenes Kind. Aber auch Jonas‘ Tochter Finja hat mit einigen Problemen zu kämpfen. Ihr etwas angespanntes Verhältnis zu ihrer Stiefmutter wird besser und die beiden können sich annähern. 

Der Schreibstil ist einfach, dadurch ist das Buch flüssig zu lesen. Erfreulich ist auch, dass das Buch so gut wie komplett unblutig daherkommt und es wenig Gewalt und noch weniger Kraftausdrücke und Fäkalsprache gibt. Manche Ereignisse, vor allem rund um die vier Häkeldamen, sind sogar lustig, was dem Krimi eine komödiantische Komponente gibt. Was mich allerdings durch die ständige Wiederholung zunehmend genervt hat, war die ständige Erwähnung von Marijkes Auto. Es ist nicht nur ein Auto. Es ist sogar nicht nur ein Golf. Es ist ein Golf Sportsvan und das wird mindestens 15-mal erwähnt, was mir dann doch ein bisschen zu inflationär war. Aber sei’s drum. 

Für mich war das Buch abgesehen davon eine wahre Freude und ich empfehle es allen Freunden der Serie, von Sylt, von gut konstruierten Krimis. Von mir fünf Sterne. 


Dienstag, 27. Februar 2024

Böses Glück - Tove Ditlevsen

In die Werke von Tove Ditlevsen habe ich mich mit der „Kopenhagen Trilogie“ verliebt. „Böses Glück“, die Sammlung von 15 Kurzgeschichten, ist das neueste Buch der dänischen Autorin, das auf Deutsch erschienen ist. Und obwohl ich kein Fan von Kurzgeschichten bin, hat das Buch mich völlig in seinen Bann gezogen. So viel Tragik, Dramatik und düstere Grundstimmung muss man als Schriftstellerin erst einmal in nüchterne und schnörkellose Sätze packen können. Es ist ein Buch, das tief unter die Haut geht, so tief, dass die Lektüre manchmal beinahe körperliche Schmerzen verursacht. Ein ungutes Gefühl im Magen allemal.

Aber von vorn.

Tove Ditlevsens Geschichten beschreiben den Alltag von Frauen in den Arbeitervierteln Kopenhagens der Nachkriegsjahre. Das tun sie eigentlich immer, denn damit kannte die Schriftstellerin sich am besten aus. Schwierigen Alltag, schwierige Beziehungen, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit sind ihre überwiegenden Themen. Daher schreibt sie über lieblose Ehen, Väter ohne Bezug zu ihren Kindern („Väter vergessen ihre Kinder doch immer, wenn sie sie lange genug nicht gesehen haben.“) und Frauen, deren Leben sie direkt aus der Unterdrückung in den Elternhäusern in die Unterdrückung in der Ehe führt. Da ist nichts mit Schönfärberei, Friede-Freude-Eierkuchen-Atmosphäre oder gar glücklichen Beziehungen – Tove Ditlevsen beschreibt alles bedrückend freudlos und düster, fast klaustrophobisch anmutend.

Die Charaktere in Ditlevsens Geschichten sind oft namenlos. „Sie“ und „er“ leben im Alltag oft nebeneinander, aber nicht miteinander, ihre Anonymität zeigt, dass es diese Konstellationen unzählige Male gab und die Personen beliebig austauschbar sind. Oft waren es zu der Zeit Vernunft-Ehen, in denen die Partner keine Partner im eigentlichen Sinne waren, da es oft wenig Gemeinsamkeiten gab, die Rolle der Frau durch Traditionen definiert war und ein Ausbruch daraus fast als „Größenwahn“ angesehen wurde. Wünsche und Träume finden nur im Geheimen statt, Selbstverwirklichung oder gar Emanzipation gibt es praktisch nicht. Dabei sind die Wünsche der Frauen gar nicht unbescheiden, zumindest nicht aus heutiger Sicht. Helga wünscht sich beispielsweise einen gelben Regenschirm. Eine namenlose „Sie“ hat ihr Herz einer streunenden Katze geschenkt und ihr Mann ist auf das Tier eifersüchtig.

Es sind Geschichten, die lange nachhallen und nachdenklich machen. Es sind präzise Sozialstudien, die die Leserschaft selbst interpretieren muss und man muss auch damit umgehen können, dass es für die Protagonistinnen (in der Hauptsache sind die Hauptfiguren in den Geschichten tatsächlich Frauen verschiedenen Alters) praktisch kein Happy End gibt. Wer die Autorin kennt, findet die vielen autobiografischen Aspekte in ihren Geschichten. Sie selbst starb im Alter von 58 Jahren nach langer Drogensucht und unglücklichen Ehen durch Suizid. Die Übersetzung von Ursel Allenstein, die unter anderem auch die „Kopenhagen Trilogie“ übersetzt hat, ist hervorragend gelungen. Ich kenne das Werk auch im Original und bin beeindruckt, in welcher Art und Weise die Übersetzerin die sprachlichen Feinheiten ins Deutsche übertragen hat. Die Sprache mag auf den ersten Blick klar, farblos und nüchtern sein, aber die wirkliche Finesse liegt in den Zwischentönen.

Auch die Wahl des Titels finde ich geglückt, auf Dänisch heißt der Band schlicht „Gesammelte Kurzgeschichten“ (Samlede Noveller) „Böses Glück“ heißt ja eine der Geschichten und fasst die Stimmung des gesamten Buchs exakt zusammen. Für mich war das Buch trotz der Melancholie, der düsteren Stimmung, der grausamen Schonungslosigkeit und schonungslosen Grausamkeit ein wahres Vergnügen. Von mir fünf Sterne.